D. Clavel: Gregor MacGregor, emprunts d’État et fraude financière 1820–1824

Cover
Titel
Créer un pays, le royaume de Poyais. Gregor MacGregor, emprunts d’État et fraude financière 1820–1824


Autor(en)
Clavel, Damian
Reihe
Collection Les Routes de l’Histoire
Erschienen
Neuchâtel 2022: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
371 S.
von
Béatrice Ziegler, Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik am ZDA, PH FHNW

In seiner Genfer Dissertation von 2018, für die er 2021 von der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) mit einem Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde, interessiert sich Damian Clavel für die historische Episode um Gregor MacGregors Königreich Poyais, die als Paradebeispiel eines Finanzbetrugs in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Clavel unternimmt eine neue Lesart dieser Geschichte, indem er am konkreten Fall der gescheiterten Finanzierungsbemühungen zum Aufbau des Königreichs einerseits die Mechanismen britischer informeller Herrschaftssicherung in Zentralamerika zur Zeit der Ablösung der spanischen Kolonialherrschaft sichtbar macht. Andererseits durchleuchtet er das Funktionieren des Londoner Aktienmarkts mit besonderem Blick auf imperialistische Zusammenhänge. MacGregors Bemühungen, sein Königreich aufbauen zu lassen und dessen Finanzierung über Emissionen am Londoner Aktienmarkt zu sichern, lassen das Bild eines extrem risikobeladenen Unterfangens entstehen, für das der Protagonist wohl relativ schlechte Voraussetzungen hatte.

Mit seinem Zugang zu dieser historischen Episode, die für sich genommen nur mikrohistorische Bedeutung hat, will Clavel zeigen, dass MacGregors Handeln sowohl im zentralamerikanischen Umfeld wie bei der Beschaffung der finanziellen Ressourcen für sein Projekt nicht nur nicht betrügerisch war, sondern auch den üblichen Vorgehensweisen der Zeit entsprach. Dabei gelingt es ihm, bei den Vorgängen im Kontext imperialistischer Erschliessung von Süd- und Zentralamerika, das Handeln von Indigenen wie die Unabhängigkeitskämpfe zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu zu beleuchten.

Der Schotte MacGregor war sehr jung in die britische Armee eingetreten und wechselte 1809 als Offizier in die portugiesische Armee. Danach liess er sich als Söldneroffizier von den Truppen Simón Bolívars anheuern, deren Befreiungskämpfe zum unabhängigen Staat Grosskolumbien führten. Als anfänglich äusserst erfolgreicher Offizier gewann er mehrere Gefechte, heiratete eine Nichte Bolívars, fiel aber bald in dessen Ungnade, als sich kriegerische Misserfolge einstellten. Clavel zeigt, wie die Situation in Zentralamerika, wo sich MacGregor in der Folge nach möglichen Betätigungsfeldern umsah, höchst instabil war: Offiziell war das Gebiet immer noch spanisches Hoheitsgebiet. Gleichzeitig existierten zahlreiche private britische Initiativen zur imperialistischen Durchdringung der Region, die sich auch gegenseitig konkurrenzierten. Hinzu kamen auch Macht- und Regelverschiebungen in den ortsansässigen bzw. indigenen Gesellschaften. Insgesamt handelte es sich also um einen schwer durchschau- und berechenbaren Handlungsraum.1

MacGregor erhielt von Georg Frederik, einem als König bezeichneten Herrscher, in der Grenzregion des heutigen Nicaragua und Honduras ein weites Gebiet, Poyais eben, zur ökonomischen, politischen und rechtlichen Entwicklung. Die Region war interessant für die Mahagoni-Abholzung, für den Schildpattexport und die Gewinnung von Sarsaparilla, einer Stechwindenart, der heilende Wirkung bei Geschlechtskrankheiten zugeschrieben wurde.

Im Anschluss an die wenigen bislang existierenden Arbeiten, die sich mit den ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnissen der Region befassen, zeigt Clavel sorgfältig, wie sich das Interessengefüge veränderte. So folgert er, dass König Georg Frederik das Land MacGregor überliess, weil er sich statt der bisherigen mediatorischen Herrschaft mittels der Belehnung von Poyais den Aufbau eines eigentlichen souveränen Herrschaftsgebiets versprach, über das seine Herrschaft gesichert werden könnte. In dieser Deutung erscheinen indigene Akteure gleichwertig mit Protagonisten imperialer Mächte. MacGregor verfügt zwar wie schon als General der Befreiungsarmeen über gewisse Handlungsautonomie, ist aber dennoch von lokalen Akteuren abhängig, seien dies Bolívar oder König Georg Frederik.

Clavels Arbeit basiert auf einer sorgfältigen Lektüre bisheriger Literatur und zudem auf aufwändigen Archivrecherchen, da das Quellenmaterial weit verstreut und lückenhaft erhalten ist. Die akribische Auswertung ermöglicht nicht nur ein neues Verständnis der Ereignisse an der Miskito-Küste, sondern auch der Vorgänge rund um die Emission von Aktienpaketen auf dem Londoner Geldmarkt. Clavel zeigt, wie die Regulatorien gerade bei Emissionen überseeischer Herkunft restriktiv und hürdenreich waren. Dabei stellt er die Emissionen für Poyais in eine Reihe mit solchen der neuen unabhängigen Staaten Lateinamerikas wie Chile. Anlegende wussten die Risiken der Geldanlagen in den verschiedenen Gebieten Lateinamerikas nicht wesentlich voneinander zu unterschieden. Ihnen war gemeinsam, dass der Erwerb solcher Aktien einen hohen Gewinn versprach, gerade weil die Emissionsbedingungen für die überseeischen Gebiete sehr unvorteilhaft waren. MacGregor beauftragte Personen mit der Durchführung der Emission, die er aus anderen Zusammenhängen kannte und von denen er annahm, dass sie über genügend Wissen und Zugang zu wichtigen Kreisen von Investoren besassen. Dass dabei ein hohes Risiko bestand, von diesen Leuten übervorteilt zu werden, wird mehrfach deutlich.

Sah es anfänglich so aus, dass die Finanzierungsbemühungen für Poyais erfolgreich sein könnten, wendete sich das Blatt nach relativ kurzer Zeit, als sich unglückliche Umstände verketteten. MacGregor hatte sich nämlich entschieden, gleichzeitig mit der Finanzbeschaffung auch Schiffe auszurüsten, um erste Kolonisten und Material nach Poyais zu senden, wo diese eine Siedlungskolonie gründen sollten. Die Ansiedlung scheiterte jedoch mehrmals und die Kolonisten wurden von der Magistratur von Britisch-Honduras, die in der geplanten Siedlung in Poyais eine kommerzielle Konkurrenz sah, «gerettet», was denn auch in London propagandistisch ausgeschlachtet wurde. In der Folge entstand in der Metropole der Eindruck, der Aufbau des Königreichs Poyais sei eine betrügerische Ankündigung, um an Geld zu kommen.

In der Arbeit von Damian Clavel vermisst man allerdings Aussagen zur Rolle von MacGregor als Individuum. So finden sich keine Aussagen dazu, wie dieser seinen Unterhalt nach Ausscheiden aus dem Militärdienst finanzierte bzw. ob er dafür Geld aus den Emissionen verwendete. Hinter der Darstellung der mit der Emission beauftragten Geschäftspartner verschwindet seine Person fast vollständig. Vor allem aber bleibt der überaus stümperhaft anmutende Kolonisationsversuch, bei welchem MacGregor ebenfalls nicht vorhanden zu sein scheint, zu wenig beleuchtet und bewertet. Alles in allem zeichnet Clavels Studie aber aus, dass er dank grossem Aufwand bei der Quellensuche, sorgfältiger Sichtung von Literatur und Quellen, aber vor allem auch dank eines alternativen Zugangs zur Geschichte des Königreichs Poyais Handlungszusammenhänge und -bedingungen in Zentralamerika im Kontext der imperialistischen Durchdringung, aber auch die Bedeutung von riskanten privaten Initiativen bei der Ausbreitung des imperialen Grossbritannien zeigen kann. In diesem Licht werden die Finanzierungsbemühungen von Gregor MacGregor als glücklose Variante risikoreicher Suche nach ökonomischem Erfolg eingeordnet.

Anmerkung:
1 So zeigt er etwa, dass unter den indigenen Bevölkerungen Spannungen und hierarchische Beziehungen bestanden, die Miskito sich sehr früh mit entlaufenen schwarzen und indigenen Sklaven und Sklavinnen vermischten und der König Sklavenhandel mit Indigenen betrieb. Insgesamt wird deutlich, dass das Gebiet eine hohe Dynamik der sozialen Mobilität aufwies.

Zitierweise:
Ziegler, Béatrice: Rezension zu: Clavel, Damian: Créer un pays, le royaume de Poyais. Gregor MacGregor, emprunts d’État et fraude financière 1820–1824, Neuchâtel 2022. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 73(3), 2023, S. 397-399. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00134>.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit